Aikido ist eine Friedenskunst. Es ist ein Weg der Einfühlsamkeit und des Zueinanderfindens. In Aikido kämpfen wir nicht gegeneinander bis ein Sieger und ein Verlierer dastehen, sondern wir üben miteinander, lernen voneinander, und helfen einander, uns als Menschen weiter zu entwickeln.
Wir üben nicht nur Bewegungsabläufe oder Techniken, vielmehr bemühen wir uns darum, eine ausgeglichene innere Haltung einzutrainieren. Die tieferen Prinzipien, die wir im Kontakt mit anderen lernen wollen, sogar in scheinbar konfliktträchtigen Begegnungen, sind Empathie, Mitgefühl, Offenheit, Klarheit, Freundlichkeit, Geduld und die Bereitschaft sich einzusetzen für Harmonie in unseren Beziehungen.
Wir verstehen in Aikido den Zweck von „Streit” als die Wiederherstellung von Frieden und Harmonie. Wenn wir kämpfen, geht es ist nicht darum jemand anderen zu vernichten oder zu dominieren, sondern um eine Konfliktlösung, und zwar in einer Form, die allen Beteiligten gerecht wird.
Die größte Herausforderung in dieser einzigartigen Disziplin ist der Kampf mit dem eigenen Charakter, besonders die eigene aggressiven Tendenzen, der Drang andere dominieren zu wollen. Dieser Drang beruht häufig auf einem niedrigen Selbstwertgefühl. Nur wer sich selber erkennt im Spiegel seiner Mitmenschen, wer auch das Unliebsame oder Verwerfliche in anderen als Aspekte seiner selbst sieht und annimmt, kann ein wahres und standhaft positives Wissen um sein eigenes Wesen entwickeln.
Das Paradox von Aikido
Aikido kann von verschiedenen Perspektiven betrachtet bzw. verstanden werden. Meist wird Aikido vertreten und unterrichtet als eine Mischung aus traditioneller Kampfkunst mit manchmal komplizierten Techniken; eine Art Kontakt-Yoga mit Zentrieren- und Dehnübungen, gemischt mit (hoffentlich) nettem Vereinsleben mit mehr oder minder sportlichen Ambitionen; und/oder eine strenge und hoch systematisierte Kampfform der starken Disziplin.
Eigentlich ist Aikido in den traditionellen Kampfkünsten falsch angesiedelt. Die wahre Frage in Aikido stellt ein Paradoxon dar, ist für unser normales Verständnis von Kampf und Streit scheinbar Widersprüchlich. Sie lautet:
Was heißt es zu kämpfen so dass alle gewinnen?
Wie wird und wie soll Aikido unterrichtet werden?
Die meisten Aikido Lehrer die ich bisher erlebt habe, vertrauen auf die Lerneffekte von regelmäßigem, diszipliniertem Training. Durch die Wiederholungen von den Bewegungsabläufen und die korrekte Körperhaltung sollte der verborgene Sinn bzw. die tiefer liegenden Prinzipien erlebt und nach und nach in dem Übenden bewusster in seiner Persönlichkeit integriert werden. Von dort aus wird dies durch veränderten Umgang mit den Mitmenschen und der Umwelt sichtbar. Kurzum, die Prinzipien werden eher impliziert statt erklärt. Soviel zur Theorie.
Ich glaube, dass dies eine überholte Lehr -und Lernmethode ist. Sie stammt aus feudalen Zeiten, und war unter anderem dazu da, um die besten, talentierten von den faulen oder über-aggressiven und falsch motivierten Schülern zu unterscheiden. Heute erlebe ich eher, dass sich die „Spreu vom Weizen“ von allein trennt. Schließlich ist das Dojo nicht mehr wie in früheren Zeiten in einem Kloster angesiedelt, wo der Schüler Kost und Unterkunft bekam, oft Jahre dort lebte und für viele eine Rettung aus sehr armen und perspektivlosen Verhältnissen darstellte.
Der moderne Schüler ist auf der Suche nach einem besseren Selbstwertgefühl, nach mehr innerer Sicherheit und besserem Umgang mit Konflikten in seinem Alltag. Er kommt meistens nicht um zu lernen, ein großer Kampfkünstler zu werden, geschweige denn zu lernen andere besser fertig machen zu können. Er sucht Wege mit seinen inneren und äußeren Konflikten umzugehen.
Daher finde ich es angebracht, Schüler explizit die Prinzipien von Konfliktbewältigung zu erklären. Die verschiedenen Techniken und Bewegungsabläufe werden dann immer soweit wie möglich mit Bezug auf die Grundprinzipien erklärt.
Die Grundprinzipien sollen in einer einfachen und leicht verständlichen Sprache erklärt werden. Es ist nicht nötig, entfremdende, komplizierte, abgehobene oder mystisch/esoterische Begriffe zu verwenden. Ich habe oft den Verdacht, dass solche Ausschweifungen mangelnde Kenntnisse verbergen sollen.
Die Grundprinzipien der Konfliktbewältigung
- Alle Konflikte, alles was ich als Konflikt betrachte, beginnt in mir. Das heißt, ich selber erlebe es in meinem Körper und meinem Geist
- Wenn tatsächlich ein Angriff kommt, nimm es nicht persönlich.
- Werde eins mit deinem Gegner.
- Wenn nötig, korrigiere sanft, so dass am Ende beide in einer guten Position sind. Übernimm die volle Verantwortung für die Ergebnisse Deines Handelns.
In der Praxis bedeutet dies
- Das Erste was ich lernen muss ist, mich selbst zu zentrieren und eine ruhige, wache Haltung entwickeln.
- Nichts persönlich zu nehmen heißt: erstarre nicht, blockiere nicht, „fahr nicht deine Stacheln aus”, nimm keine starre Abwehrhaltung ein, sondern wenn der Angriff kommt, gehe zuerst aus dem Weg um nicht getroffen zu werden.
- Verschmelze mit dem anderen, schaffe eine Verbindung die dich schützt und gleichzeitig die Perspektive des Anderen annimmt und sogar respektiert.
- Dies heißt die Kontrolle auf eine Weise zu übernehmen, so dass der andere nicht verletzt oder gedemütigt wird.
Letztendlich aber warum soll jemand Aikido praktizieren? Ich glaube, die Meisten fangen nicht an mit besonders hoch gesetzten Zielen oder großen spirituellen Erwartungen. Aikido ist doch auch von außen betrachtet etwas faszinierendes, auch wenn wir dann nicht genau sagen können worin diese Faszination liegt. Aber es macht neugierig, und am Anfang reicht diese Neugier aus, um etwas Neues auszuprobieren. In dieser Anfangsphase ist es wichtig, dass der Übende Freude, Spaß dabei empfindet und dass er/sie während und auch nach dem Training im Körper ein gutes ausgeglichenes Gefühl hat.
Wenn dies geschieht wird das reichen um den Mensch zu motivieren, regelmäßig zu trainieren. Aber, wie ich schon am Anfang erklärt habe, sollten mit der Zeit alle Übenden jeden Alters mit den Fragen von Selbsterkenntnis und der Bedeutung von innerlichem und äußerlichem Konflikten bewusst in Kontakt gebracht werden.
[David Sikora]